Zwischen den Zeilen

Bei meiner Disneyland-Tour im Februar erlebe ich buchungstechnisch wirklich die volle Güte französische Organisationskunst. Nicht, dass ich das nicht erwartet hätte – aber den Kopf schüttele ich trotzdem immer wieder. Ein ganz simples Beispiel eines wochenlangen Mailverkehrs für eine Sache, die man woanders in 3 Minuten erledigt hätte:

Man wartet seit Monaten auf die postalische Lieferung eines TGV-Tickets.

Nach 5 Wochen schreibt man den Support an. Der sagt mir erst mal, dass ich mich darüber sorge, dass ein TGV Ticket nicht ankam. Äh… ja? Vermutlich will mir die Mitarbeiterin damit nur suggerieren, dass sie mich verstanden hat. Danach heißt es einfach, ich soll mich nicht sorgen. Oooookay? Wird schon irgendwann kommen.

Danke. Wir brauchen das Ticket eigentlich recht dringend, da wir am Flughafen nicht unbegrenzt Aufenthalt haben und uns nicht am SNCF-Schalter über den Nichterhalt eines Tickets unterhalten wollen.

8 Wochen später. Ich hake zum dritten Mal nach. Immerhin: Die Antwort wird bei jedem Nachhaken um Milimeter-Errungenschaften klarer: Die Tickets sind nicht namensgebunden. Vermutlich will man mir damit sagen, dass sie mir kein zweites auf ihre Kosten hinterherschicken wollen. Darauf meine Frage, ob man das Ticket nicht stornieren und ein neues zuschicken könnte.

Antwort ein paar Tage später: Klar kann man das stornieren. Soll ich einfach anfordern. Dann krieg ich das Geld zurück und kann mir ja einfach ein neues bestellen.

Äh, ja. Eigentlich genau das, was ich seit Wochen erreichen möchte? Der Satz fällt quasi nebenbei – sinngemäß: „Mach halt, wenn du meinst.“ – aber natürlich ohne auf zig mal persönliche Anrede zu verzichten. „Lieber Herr, sehr geehrter Herr, Hochachtungsvoll…“. Förmlichkeit und gefühlte Arroganz in einer Mail – das schaffen irgendwie nur Franzosen so.

Also storniere ich online und buche neu.

Ergebnis von immer noch der gleichen Mitarbeiterin: Ja, die Stornierung ist akzeptiert. Um das Geld zurück zu erhalten, muss ich jetzt das Ticket aber zurückschicken. Äh, hallo? Geht’s noch? Was für ein Deadlock soll nun das werden?

Also wieder eine Mail an den Support. Irgendwann habe ich sie dann so weit, dass sie mir tatsächlich schreibt, ich solle einfach einen Brief nach Belgien schreiben, dass ich eben kein Ticket erhalten habe – wird dann schon irgendwie klappen. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie genervt mein Gegenüber zu diesem Zeitpunkt bereits von meiner Quängelei war. Warum man diesen Prozess aber nicht einfach abkürzen konnte, ist mir ein Rätsel. Nicht mal ein Formular hat TGV für diesen Fall. Ich darf also einen richtigen Brief an den Support schreiben. Ich glaube, ich drucke ihn auf Blümchenpapier. Vielleicht ist es auch einfach nur bewusstes Mürbe machen.

Ich sage ja immer, die französische Sprache ist eine weibliche Sprache. Rund, fließend, ohne deutliche Worttrennung, wie ein Fluß – ohne Struktur.

Bei Frauen muss man zwischen den Zeilen lesen. Eine klare Aussage gibt’s nie. Alles wird einem durch die Blume gesagt. Ich glaube, beim Geschäftsverkehr mit Franzosen ist es ganz genauso. Ich habe den Grund dafür bei Frauen schon nie verstanden und genausowenig, ach, noch weniger!, verstehe ich ihn beim Geschäftsverkehr – wo ich es nun schon vom Support wie hier bis zur Projektplanung hin so erlebt habe.

Das mögen die einen als künstlerische oder soziale Kompetenz auslegen, die anderen als schlichte Formalität oder gar als Tugend – aber, ohne in irgendeiner Form rassistisch klingen zu wollen, ich komme mit meiner Liebe zum klar Umrissenen damit echt in keinster Weise klar. Ich fühle mich die ganze Zeit hinters Licht geführt, bin jedem Franzosen gegenüber mißtrauisch (was mich ja selbst ärgert), weil ich das Gefühl habe, er sagt mir nicht die Wahrheit – nein, das stimmt vielleicht gar nicht: Weil ich das Gefühl habe, die Wahrheit zwischen den Zeilen nicht zu verstehen.

Zugegeben: Wenn ich mit Franzosen mal was trinken war und wir uns nicht mehr über das Geschäft, sondern das Leben unterhalten haben, hatte ich plötzlich Zugang. Aber ich glaube, das gilt am Ende vermutlich für alle Menschen. Und außerdem: So verworren wie Franzosen ticken, so klar-unfreundlich dürften so einige Deutsche auf Ausländer wirken. Nur mir ist ein deutlich unfreundlicher Münchner U-Bahn-Schaffner immer noch lieber als ein dauernd-zu-interpretierendes Gespräch mit einem für mich nur scheinbar freundlichen Pariser Ober. Bei ersterem weiß ich, woran ich bin.

Eigentlich ist das schade und manchmal frage ich mich, ob ich mich nicht einfach bemühen sollte, solche Interpretationen zu erlernen. Dann komme ich aber wieder schnell davon ab: Welchen Sinn hat es denn? Warum auf Glatteis begeben? Ich liebe die Klarheit. Sie ist nicht angreifbar. Wenn ich damit weiterhin Frankreich (und einen gefühlten Großteil an Frauen) eben nicht verstehe, dann c’est la vie! Ich mag Paris trotzdem!

0 Gedanken zu “Zwischen den Zeilen”

  1. ich empfinde diesen artikel als frauenfeindlich. sprachformen sind nicht genetisch an ein bestimmtes geschlecht gebunden, sondern sind von der individuellen sozialisation abhängig. diese wiederum ist eingebunden in den kontext von geschlechterrollenklischees, die sich durch gesellschaftliche diskurse herausbilden. ein wenziges element in diesen diskursen ist beispielsweise ein frauenfeindlicher artikel wie der text auf dieser seite.

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