2011 – Ein Prolog

Nach drei etwas trüberen Jahren war 2010 für mich eigentlich ein rundum erfolgreiches Jahr. Tatsächlich hat so ziemlich alles hingehauen, was ich für realistisch hielt und ich lüge nicht, wenn ich sage, dass ich mich momentan ziemlich wohl fühle. In der Hinsicht kann es 2011 gerne noch ein Stückchen so weitergehen wie bisher – auch wenn ich ganz leichte Indikatoren sehe, dass sich an bestimmten Sachen mittelfristig etwas ändern könnte, aber man soll ja auch nicht den Teufel vorweg an die Wand malen.

Das nächste Jahr widme ich noch stärker der Suche nach dem wahren Mensch. Oder das Wahre im Menschen. Das ist eine heikle Angelegenheit, weil ich gleichzeitig feststelle, wie sich mein Toleranzhorizont immer weiter verengt und meine persönliche Trennlinie zwischen Menschen, die ich mag und die mich interessieren und denjenigen, mit denen ich nicht auf einer Wellenlänge schwebe, immer weiter ausseinander triftet, ja sich gerade zu eigenbrötlerisch polarisiert. Ich werde meinem eigenen Grundsatz, dass jeder Mensch so leben darf, wie er es möchte, so lange er dabei niemanden schadet, nicht direkt untreu. Aber ich packe es immer weniger, mich mit Leuten zu sozialisieren, die sich für meine Begriffe und für mein Wahrheitsempfinden das Gelbe ins Knie lügen.

Konnte ich mich früher noch mitfreuen, wenn Mitmenschen, und wenn es nur für den kurzen Augenblick ist, selbst glücklich waren, schaffe ich es jetzt eigentlich nur noch, den Mund zu halten und sie ihr Leben leben zu lassen. Eine ziemlich asoziale Einstellung eigentlich, welche die Welt zudem mit Sicherheit nicht nach vorne bringt, aber man wird halt auch nicht jünger und die Kräfte des Selbstbetrugs sind auch nicht in unbegrenztem Maße vorhanden. Dabei geht es mir gar nicht darum, dass einige Menschen die blaue Pille geschluckt haben. Sich für den Schein zu entscheiden halte ich weiterhin für absolut legitim. Es gibt ja auch Menschen, die mit einer beneidenswerten Naivität durch das Leben tänzeln und von der Pille gar nichts wissen wollen. Mir ist aufgefallen, dass ich diese Naivität sogar suche. Vermutlich beneide ich sie sogar ein wenig… *Streiche vermutlich*. Ob das nun ein reiner Nostalgietick oder meine Form der Wahrheitskompensation ist, hab ich noch nicht so wirklich rausgefunden. Auch bin ich mir noch nicht schlüssig, wie gefährlich das ganze für mich ist. Vielleicht ein weiterer Agendapunkt für 2011.

Nein, mich stören die Menschen, die bereits an dieser Kreuzung standen und sich dann für die blaue Pille entschieden haben. Die aus Schwäche oder Angst den Weg des Scheins wählen und alle ihre restliche Energie in die, scheinbar häufig krampfhafte Aufrechterhaltung dieser Maskerade legen, sich tagtäglich selbst alles Mögliche vorlügen müssen, um einen Rest Selbstwertgefühl zu bewahren und jede Form der kritischen Selbstreflexion abschalten, um nicht völlig unter der Last des Lebens zusammen zu brechen. Von den Anstrengungen, das Ganze nach Aussen hin zu verschleiern, will ich jetzt gar nicht reden. Genau diese Schwäche verabscheue ich mehr und mehr – und das ist zugegebenermaßen ziemlich asozial von mir.

Asozial im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich merke, wie nicht nur meine Toleranz gegenüber solchen Mitmenschen schwindet, auch die sozialadäquaten Mittel, die diesen Personen ein Forum eröffnen, stoßen mir zunehmend sauer auf. So war ich ja zum Beispiel noch nie ein Freund von Smalltalk. Aber auch wenn ich mit diesen „Funktionen“ zumindest ein wenig umgehen kann, merke ich, wie ich mir zunehmend die Frage stelle, ob ich diesen selbstverlogen Scheiß eigentlich wirklich auf Dauer mitmachen will. Wenn ich mit Menschen rede will ich sie kennen lernen und es interessiert mich einen feuchten Furz, ob ich ihm nun rhetorisch begenen kann oder seine strategische Rabulistik durchschaue. Mir ist auch bewusst, dass mein Gegenüber ein Recht auf Charakterintegrität hat, aber ich lüge mir was vor, wenn ich weiterhin behaupte, dass mich diese Menschen dann interessieren. Sie tun es schlicht nicht.

Können wir dann nicht einfach auf der pragmatischen Ebene bleiben und über Fakten sprechen? Hat das andere wirklich etwas mit Anstand zu tun? Wenn ich mit Ausländern oder Touristen rede, die Deutschland und insbesondere München nicht mögen, höre ich grundsätzlich, wie schlecht gelaunt und unfreundlich die Leute sind. Tatsächlich wird wohl fast überall sonst in der westlichen Welt deutlich mehr gesmalltalkt. Als ich in Irland unterwegs war, fielen mir die „Hello, love.“ „How are you, dear?“ gerade zu nur um die Ohren. Die guten Vibes sollen fließen. Verständliches Argument. Aber mir ist aufgefallen, dass ich damit nicht viel anfangen kann. Ich definiere es für mich nicht als Freundlichkeit sondern als verlogenes Popostreicheln. Ich bin narzistischer Pragmat. Und zugegeben: München ist als Stadt hier mit Sicherheit die Speerspitze der „un-kindness“. Ich hatte ja schon mal erklärt, dass der Bayer das als seinen Ausdruck der Redefreiheit definiert. „Ich mach dir nichts vor. Du machst mir nichts vor.“ Vielleicht ist es genau das, was mich noch in diesem Land hält und in diese Stadt gezogen hat.

Mehr noch: Es gab für mich keinen besseren und inspirierendern Abschluss für 2010 als die Keynote von Rop Gonggrijp [klick!] auf dem Chaos Communication Congress. Ja, es ist ein Hacker-Kongress. Aber in Rops Rede geht es letztendlich genau um das alles. Der politische Mantel ist letztendlich nur Teilstück einer viel größeren, gesellschaftlichen Problematik die mich weiterhin bewegt. Dass es Rop in der Rede sogar gewagt hat, dazu vor Computernerds Stellung zu beziehen, verpasst mir seit drei Tagen Gänsehaut, weil ich mich mit meinem Gefühl, was in der Welt und in mir selbst passiert und wie das zusammenhängt, plötzlich nicht mehr ganz so einsam fühle. Und wenn es einen Beweis dafür gibt, dass es sich doch lohnen kann, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen, dann ist es auf politischer Ebene vielleicht genau diese pragmatische deutsche Bevölkerung. Die hat in den Überwachungsstaatsfragen zwar keinen herausragenden, aber doch einen sehr, sehr guten Job gemacht. Zumindest verglichen mit den meisten anderen westlichen Großmächten, die in ihrem Blauen-Pille-Halligalli zunehmend ins Orwellsche Matrixland umgekippt sind. Ernsthaft: Die Jugend hier ist nicht so scheiße, wie manche behaupten. Um es mit der oben verlinkten Rede zu sagen: Ja, auch ich hatte meine Phase der Depression und ihr wollt nicht wissen, wie lang die gedauert hat. Und ja, auch ich hab mich gefragt, ob es der ganze Stress, zwischen den verschiedenen Realitäten zu reisen, wirklich wert ist. Aber verdammt: Wir bewegen was und 2010 noch mehr als je zuvor.

Mir ist manchmal vorgeworfen worden, Mitmenschen schamlos auszuziehen oder zumindest einen Tick dafür zu haben, mal kräftig nachzubohren, wenn sich die Gelegenheit bietet. Die einen haben mir das als unmenschlichen Zug gegen die Unversertheit der eigenen Privatsphäre ausgelegt. Ich hab das immer als mein Interesse am Menschen definiert. Und ja, ich habe versucht, es in den letzten Jahren viel vorsichtiger angehen zu lassen. Vielleicht fällt mir das Ganze auch deswegen ein wenig leichter, weil ich bewusst eher extrovertiert lebe und es ziemlich wenig Sachen gibt, für die ich mich schäme (hey, ich meine, lest diesen Scheißblog, wenn ihr mir nicht glaubt!). Ich selbst habe einfach weniger zu verlieren als viele andere. Aber genau dieses Tiefergehen ist für mich der entscheidende Faktor. Ich bin weiterhin überzeugt davon, dass wir uns alle besser verstehen, wenn wir gemeinsam der Wahrheit ins Gesicht sehen, unsere Fehler eingestehen und uns gegenseitig anvertrauen. Und ich glaube, dass der Mensch über sich reden muss, um sich und seinen Charakter zu stärken und menschlich zu werden.

Tatsächlich sind bei mir am Ende immer nur die Freundschaften erhalten geblieben, wo das geklappt hat – selbst bei denjenigen, die mich dafür zunächst verflucht haben. Und ich bin mit Sicherheit kein Freund von der zunehmenden Auflösung unserer Privatsphäre, aber ich bin überzeugt davon, dass wir die Welt nur verbessern können, wenn wir die Geheimnisse lüften, die Maskerade sein lassen und dieses Scheiß Doubletalk endlich besiegen. Das eine schließt das andere nicht aus, im Gegenteil: Es bedingt es. 2010 war ein Jahr, das geprägt war von genau dieser Debatte. Die wikileaks-Philosophie sei hier nur als ein stellvertretendes Beispiel von Vielen genannt.

Das Schlimme, und jetzt mag ich mich wie ein Midlife-Blogger anhören, an der Sache ist, dass das innerhalb des eigenen Umfeldes plötzlich so schnell divergiert. Die Entscheidung über die Pille scheint häufig rapide und schlagartig zu kippen und in den meisten Fällen gibt es dann für beide Parteien kein wirkliches Zurück mehr. Wie gesagt, es polarisiert. Und die Leute, die ich in meinen engeren Kreis zähle, schrumpft zunehmend. Aber das ist okay so. Ich werde eben eigenbrötlerischer, vielleicht darf ich auch sagen: anspruchsvoller, spezialisierter.

Nach diesen Menschen will ich 2011 auf der Suche sein. Eben nach wahren Menschen und Menschen, die mit mir unseer gemeinsamen Wahrheit ins Gesicht schauen. Auch auf die Gefahr hin, dass wir Truthseeker nachher alle -dem Mainstream völlig entkoppelt- alleine durch Raum und Zeit gleiten. Denn genug Anzeichen für diese Gefahr gibt es. Aber zumindest gibt es für meine Wenigkeit kein Zurück mehr. Ich weiß, dass ich da hin will und wenn man ein Ziel hat, dann ist das doch auch schon mal was. Satres blanke Nichts der Freiheit? Fine with me. Dazu für 2011 wieder ein bischen mehr gesellschaftliches und politisches Engagement oder zumindest Interesse, spannendere Blogbeiträge (ja, ich weiß!) und mehr Pflege lang vernachlässigter (wahrer) Freunde.

Ab dafür.

0 Gedanken zu “2011 – Ein Prolog”

  1. Noch oder schon relativ wach? Entwickelt sich da jemand, zumindest Teilweise, zu einem gesellschaftlichen A***h? Könnte auszugsweise auch aus meiner Feder stammen. Frohes Neues Jahr Basti! Meinen Segen hast du 🙂

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