Film-Review: Mullholland Drive

Wer sich vom Mainstream Kino nicht blenden lässt und auch offen ist, auf
eine andere Art des Kinos sollte sich David Lynch’s neues Psychowerk
„Mullholland Drive“ nicht entgehen lassen. Der Mulholland Drive, der
bereits in dem Thriller Mulholland Falls mit Nick Nolte, Melanie
Griffith und Jennifer Connelly eine wichtige filmische Rolle spielte,
zieht sich hoch über Los Angeles an den Bergen entlang, so dass man eine
geniale Aussichts auf
das Hollywood-Viertel geniesen kann.
Steile Wände strecken sich auf der einen Seite in den Himmel und auf der
anderen stürzt der Abgrund in bodenlose Tiefen. Eine schöne Lady gleitet
auf dem Rücksitz einer Nobellimousine durch die Nacht, als der Wagen
plötzlich mit dem Auto durchgeknallter Teenager kollidiert. Als sie
erwacht, ist sie äußerlich fast unverletzt, aber der Unfall hat sie von
der überschaubaren Straße ihres bisherigen Lebens auf einen verlorenen
Highway geschleudert – denn sie weiß nicht mehr, wer sie ist…
(Zitat Moviestar).

Der Film ist im Prinzip das Grundgerüst einer Serie, die Lynch für das
amerikanische Fernsehen produzierte.
Die Serie wurde nie gesendet. So hat Lynch die Story und die einzelnen
Episoden zu einem ganzen geflechtet. Zwar kommt das episodenhafte
gelegentlich durch, doch stört dies kaum und insgesamt gibt sich ein
gutes, schlüssiges Bild. Der „lynch’sche“ Bruch, der schon seit Twin Peaks
legendär ist, kommt diesmal reichlich spät. Der Film plätscherst gute 2
Stunden als recht einfache Story vor sich hin. Auf mehreren Schienen
laufen gleichzeitig die Storys eines Regisseurs, einer Schauspielerin,
der dunkelhaarigen Lady mit der Gehirnerschütterung, eines ominösen
Imbiss-Lokals sowie eines Killers erzählt. Die Art erinnert zuerst noch
ein bischen an die Film-Noirs oder an Episodenfilme a la Pulp Fiction
oder Magnolia. Gegen Ende des Films findet die Hauptdarstellerin
(Camilla) plötzlich den Schlüssel zu einem lang gehüteten Geheimnis. Da
beginnt der lynch’sche Bruch und der Regisseur schraubt die Spannung
dramatisch in die Höhe. Menschen verschwinden und tauchen als andere
Persönlichkeiten wieder auf, merkwürdige Personen, allen voran der
„Cowboy“, der dem „Mystery Man“ aus Lost Highway in nichts nachsteht,
bestimmen von nun an das Bild des Films. Auch die Landschaft verändert
sich rapide. Nette Personen offenbaren sich plötzlich als Teufel, die
Liebe offenbart sich als Intrige, Lebende sind tot. Eine halbe Stunde
lang prügelt der Film mit immer unheimlicheren Ereignissen auf den
Zuschauer ein, bis er völlig erschöpft dem Verlauf gar nicht mehr folgen
kann, nicht mehr folgen darf, bis das ganze dramatisch, fast schon
klassisch dramatisch mit einem Selbstmord endet. Das Bild fadet ins
Schwarze, die extreme Lautstärke weicht einer langen Pause, lässt das
Kinopublikum dem Atem bis eine blauhaarige Frau verkündet: „Silencio“.
Nach einer noch längeren Pause läuft der Abspann. Doch wer einmal
infiziert ist mit dem „Lynch- Fieber“, der kann nicht schwiegen. Es ist
wie alle Lynch-Filme ein Film, den man entweder liebt oder hasst. Hasst
man ihn, gibt er einem gar nichts. Liebt man ihn, muss man ihn immer
wieder und wieder sehen. Es ist wie eine Droge, ein unbändiges Erlebnis.
Zu groß ist die Verlockung den Film, der ein einziges Psycho- Puzzle
ist, doch noch zu lösen. Und doch wird man immer wieder und wieder
versagen, die eigentlichen Hintergründe völlig zu erfahren. Das soll man
auch nicht, braucht man nicht.

Wie David Lynch es selbst ausdrückt [Zitat]: „Nehmen Sie einen Alptraum.
Sie wissen genau wie es sich angefühlt hat, aber sie können es nicht
beschreiben, wenn sie ihn anderen erzählen klingt es lächerlich. Genau
dieses Gefühl versuche ich mit meinen Filmen zu vermitteln. Es muss
nicht immer alles eine Erklärung haben.“

Und wie recht er hat… Gegen Mulholland
Drive ist „Der Exorzist“ ein Kindermärchen und Sixth Sense, Schweigen
der Lämmer & Co können gleich seine Sachen packen und nach Hause gehen.
Der Film dringt ihn die tiefste Psyche des Zusehers ein, zeigt ihm seine
tiefsten Ängste – selbst bei den ruhigsten Szenen wagt man es oft nicht
mal, auf die Kinoleinwand zu blicken. Doch wie eine Neurose, wie ein
Kindheitstrauma muss man immer wieder und wieder zusehen.

Also, wer sich mal einen wirklichen Film geben will, der seit Jahren
meiner Meinung nach der Unheimlichste ist, der Gesprächsstoff en masse
gibt, der einem ein Filmerlebnis bietet, in das man sich sowohl komplett
fallen als auch bis ins kleinste Detail spekulieren kann, der muss sich
Mulholland Drive ansehen. Worte können das Erlebnis nicht beschreiben.
Wer genauso wie ich durch das Lynch- Fieber gepackt wird, wird
begeistert sein und ist garantiert einige Erfahrungen reicher. Wer ihn
hingegen hasst, dem wird die Magie dieses Films und dieses Regisseurs
wohl auch weiterhin verschlossen bleiben – es ist wie bei Kafka.

„Ich habe keine Ahnung, worum es geht, aber es hat mir gefallen“
(Zitat der Cannes-Jury).

Für mich der Beste Film, den ich bisher 2002 gesehen habe (weit vor Herr
der Ringe). Der Film wurde von der Director’s Guild of America
bereits zum Besten Film 2001 gewählt – und das sollte doch eine ganze
dicke Empfehlung wert sein. Für Freunde des Psychothrillers ein
Must-See. 2 Thumps up!

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